Artikel aus der Zeitschrift „Chorzeit“ des Verbandes evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (Juni 2015)
„Shitstorm“ nennt sich das, was ich heute bezüglich meiner Person im Internet erlebe. Es ist besser den Begriff nicht ins Deutsche zu übersetzen. Das Niveau mancher Zeitgenossen ist allerdings erschreckend.
Was ist geschehen? Ich habe am letzten Samstag (11. Juni 2015), am Schluss einer Hochzeit, als alle Gäste längst vor unserer schönen Wallfahrtskirche einander zuprosteten, die Musikgruppe wegen ihrer, meines Erachtens, überlauten und unpassenden Musik zur Rede gestellt. Drei Musiker spielten gerade mit voller Hingabe den Hit der letzten Fußballweltmeisterschaft, der am Schluss mit dem frenetisch wiederholten Ruf: „Ein Hoch auf uns!“ endet. Ich war selber nicht der Trauungspriester, bekam die anderen Hochzeitslieder nur am Rande mit, hörte aber vorher schon eine Stunde lang die lauten Klänge, die sich ins herrliche gotische Gewölbe unserer Wallfahrtskirche erhoben. Schon da schmerzte es mich innerlich. Über die letzten Jahre hatte sich da einiges in mir aufgestaut. Vor einiger Zeit hatte ich eine Hochzeit, bei der mir verstohlen die Tränen kamen, so weh tat mir der musikalische Stilbruch, den ich kommentarlos über mich ergehen ließ.
Ich glaube, dass ich bei moderner Kirchenmusik mitreden darf. Sonntag für Sonntag spielte ich die Gitarre bei der zweiten Messe in meiner Heimatpfarre Straßgang. Meistens leitete ich die Musikgruppe. Außerdem spielte ich wöchentlich bei der Jugendmesse am Freitag, bei der die Kirche voll war von begeistert singenden jungen und alten Menschen. Dazu kam mindestens einmal wöchentlich der Musikdienst im Jugendgebetskreis. Aus dem jahrelangen Musikdienst entstand das Liederbuch „Singe Jerusalem“, das in diesen Tagen die Auflage von 100 000 Stück erreicht hat. Es hat sich im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet. Eine Reihe dieser Lieder habe ich mit Hilfe anderer in die deutsche Sprache gebracht. Manche Lieder sind auch selbst verfasst. Zusammen mit anderen Musikern lud ich 1986 zu einem Musikseminar ins Stift Rein ein, zu dem kirchliche Musikgruppen von Wien bis Vorarlberg anreisten. Seit 24 Jahren findet die Sommerwoche der Jugend in Pöllau statt. Da „wackelt“ die herrliche Pöllauer Kirche, wenn hunderte Jugendliche aus voller Kehle singen. Wir machen aber einen Unterschied zwischen der Musik im Zelt im Schlosspark und zwischen der Musik in der Kirche. Musikdienstleiter ist der Priester Andreas Schätzle, der selber viele Lieder und einige Messen komponiert hat.
Man verzeihe mir bitte diese „Angeberei“, aber es hilft meinen Anspruch und Schmerz zu verstehen, weil auch meinerseits so viel „Herzblut drinnensteckt“. Brautpaare müssen sich nicht vor mir fürchten, dass ich „ihren schönsten Tag“ beeinträchtige. Ich bemühe mich behutsam und taktvoll bei den Programmwünschen mitzulenken. Gute Kirchenmusik erhebt die Seele zu Gott, ist sehr oft Gebet, ist vom Stil her eher sammelnd und verinnerlichend. Sie kann aber bisweilen auch laut und enthusiastisch sein, wie zum Beispiel Gospelmusik. Jedoch ist sie sicher anders geartet, als jene anschließend bei der Hochzeitstafel.
Hin und wieder mache ich bei diesen Liedwünschen Kompromisse, die mir manchmal „Bauchweh“ bereiten. Es klingt trivial, aber in der Kirche ist Gott der Adressat unserer Lieder. Wofür haben wir so qualitätsvolle Musiker in Pöllau, wofür unsere Organisten? Was ist mit den tausenden von geistlichen Liedern, die in verschiedenen Sammlungen existieren? Es ist größtenteils erschreckend, die Hitliste zu sehen, die im Internet von den Hochzeitsmusikern präsentiert werden und die das Brautpaar dann unterbreitet bekommt. Zunehmend betätigen sich Musiker in der Kirche, denen die Behutsamkeit im Umgang mit heiligen Räumen fehlt, denen der Messablauf fremd ist. „Der Kunde ist König“, ist die Devise, „das Brautpaar wollte es so; es ist schließlich ihr schönster Tag!“ Viele Brautleute erleben kaum mehr lebendigen Kontakt mit der Kirche und holen sich fragliche Anregungen von Youtube. An die Stelle des Glaubens müssen umso stärkere Gefühle treten. “ Die Ganslhaut muass an aufsteign“, erklärte mir eine Braut. Ich denke, dass von zentraler Stelle unserer Diözesen hier ein Leitfaden erstellt werden müsste, der es den Priestern erlaubt, eine Linie einzuhalten. Leider fürchte ich, dass die Anschauungen der Priester zu diesem Thema zu stark divergieren.
Liebe Brautleute! Ihr sollt eine schöne Hochzeit erleben, eine Hochzeit, wo Gott in Eurer Mitte spürbar ist, wo Dankbarkeit aufklingt, IHM gegenüber, der Euch ein Leben lang begleiten will, der Eure Liebe wachsen lassen will. Er mag Musik, der ganze Himmel ist voller Musik.
Roger Ibounigg, Pfarrer von Pöllau und Pöllauberg