Stellungnahme von Pfr. Ibounigg zu lat. Hochgebet

Ein lateinisches Hochgebet an einem Ostersonntag wurde zum Anlass einer Beschwerde eines Messbesuchers in Pöllau. Seitens der Diözese wurde diesem grundsätzlich recht gegeben. Die Beschwerde wurde an mich zur Beantwortung weitergeleitet.

Sehr geehrter Herr N.N.!                                                                                                           Pöllau, am 8.4.2015

Seitens der Diözese ist mir Ihre kurze schriftliche Reaktion auf das lateinische Hochgebet in der Heiligen Messe am Ostersonntag in Pöllau weitergeleitet worden. Es war sicher nicht meine Absicht, Ihnen die Osterfreude zu mindern.

Wie schon Dr. N.N. Ihnen schrieb, hätten Sie mich durchaus vor der Kirche ansprechen können, da ich ja dort beim Haupttor den vielen Messbesuchern meine Osterwünsche entbot. Unter diesen Leuten fand ich einige Engländer und einige Personen aus den USA, von denen ich erst heute hörte, dass sie sich sehr über das Latein gefreut haben. Es wär für sie sofort ein „Heimatgefühl“ aufgekommen. Interessant, dass mir das heute erst ausgerichtet wurde, da ich auch diese Mail erhielt. Ich hoffe, Sie nicht mit Argumenten zu überfahren, aber ich nehme Sie so ernst, dass ich Ihnen wirklich ausführlich antworten will. Allerdings wird dies eine Verteidigung des Latein auf der ganzen Linie sein:

Das Zweite Vatikanische Konzil schreibt in seiner Liturgiekonstitution, die die großen Eckdaten für eine nachkonziliare Liturgiereform angeben sollte, über das Latein:

Artikel 36:

§ 1: „Der Gebrauch der lateinischen Sprache soll in den lateinischen Riten erhalten bleiben (soweit nicht Sonderrecht entgegensteht).“

§ 2: „Da bei der Messe, bei der Sakramentenspendung und in den anderen Bereichen der Liturgie nicht selten der Gebrauch der Muttersprache für das Volk sehr nützlich sein kann, soll es gestattet sein, ihr einen weiten Raum zuzubilligen, vor allem in den Lesungen und Hinweisen und in einigen Orationen und Gesängen …“

Artikel 54:

„Der Muttersprache darf im Sinn von Artikel 36 dieser Konstitution in den mit dem Volk gefeierten Messen ein gebührender Raum zugeteilt werden, besonders in den Lesungen und im „Allgemeinen Gebet“ sowie je nach den örtlichen Verhältnissen in den Teilen, die dem Volk zukommen.

Es soll jedoch Vorsorge getroffen werden, dass die Christgläubigen die ihnen zukommenden Teile des Mess-Ordinariums auch lateinisch miteinander sprechen oder singen können. …“

Artikel 101:

§ 1: „Gemäß jahrhundertealter Überlieferung des lateinischen Ritus sollen die Kleriker beim Stundengebet die lateinische Sprache beibehalten.

Diese wenigen Sätze zeigen, wie weit wir noch von der Verwirklichung des Konzils entfernt sind. Einen Satz hebe ich besonders hervor: Es soll jedoch Vorsorge getroffen werden, dass die Christgläubigen die ihnen zukommenden Teile des Mess-Ordinariums auch lateinisch miteinander sprechen oder singen können. …“ Mit Mess-Ordinarium sind das Gloria, das Glaubensbekenntnis, das Sanktus und das Lamm Gottes gemeint. All diese Teile sang unser Chor in der Mozartmesse an jenem Sonntag in Pöllau in lateinischer Sprache. Wie gut passte da das lateinische Hochgebet dazu.

Sogar die Einleitung, Präfation genannt, sang ich in Deutsch, was ich nicht sehr passend empfand. Nach der Wandlung betete ich außerdem still weiter, während der zweite Teil des Sanktus, das Benediktus, gesungen wurde. Der Zuruf „Geheimnis des Glaubens“ war in Deutscher Sprache. Das Vater unser und das Lamm Gottes waren ebenfalls Deutsch.

Ich danke Ihnen für Ihre Kritik, die wie ein aufgelegter Ball ist, für ein Anliegen, das mir unter den Nägeln brennt.

Im berühmten Interviewbuch „Gott und die Welt“, äußerte sich der damalige Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., auch zum Thema Latein. Auf die Frage: „Sollen die Messen wieder in Latein gelesen werden?“, antwortete er:

„Das wird generell nicht mehr möglich sein und ist vielleicht so auch nicht zu wünschen. Mindestens würde ich sagen, ist klar, dass der Wortgottesdienst in den Muttersprachen sein soll. Allerdings wäre ich dafür, dass eine neue Offenheit für das Lateinische entsteht. Das Lateinische in der Messe erscheint uns ja inzwischen geradezu als Sündenfall. Damit schließt man allerdings auch Kommunikationen aus, die in Mischgebieten so notwendig sind. In Avignon hat mir der Dorfpfarrer erzählt, dass Sonntags plötzlich drei verschiedene Sprachgruppen kamen, um die Messe zu feiern. Er hat vorgeschlagen, den Kanon gemeinsam lateinisch zu beten, dann könnten alle miteinander die Messe feiern. Alle drei haben brüsk gesagt: nein, es müsste für jeden was Eigenes sein. Oder denken wir auch an touristische Orte, hier wäre doch das Sich-Wiedererkennen im Gemeinsamen etwas Schönes. Wenn selbst in den großen Liturgien in Rom niemand mehr das Kyrie oder Sanctus singen kann, niemand mehr weiß, was Gloria bedeutet, dann ist das auch ein Kulturverlust und ein Verlust an Gemeinsamkeiten. Insofern würde ich sagen, der Wortgottesdienst sollte auf jeden Fall in der Muttersprache sein, aber es sollte dennoch auch einen Grundbestand an Latein geben, der uns miteinander verbindet.“

Noch heute denke ich an jene internationale Messe, in der ich 1990 als Neupriester konzelebrierte, und in der nur die Wandlungsworte in Latein gesprochen wurden. Ich war beschämt, dass ich sprachlich nur „mitstolpern“ konnte bei diesem heiligen Moment. Nirgends in unserer Priesterausbildung wurden wir hingeführt, die Heilige Messe auch lateinisch feiern zu können. Das galt als konservativ und rückständig und löste Opus-Dei-Verdacht aus. Als ich mir des Defizites, das Hl. Messopfer auch in Latein feiern zu können, bewusst wurde, begab ich mich mühsam auf den Weg, dies mir anzueignen. Sehr beeindruckt war ich auch von einer Seligsprechung, die ich in Rom, auf dem Petersplatz, erlebte, als alle Menschen rund um mich, wie selbstverständlich, das lateinische Sanktus der Missa de Angelis mitsangen. Und wie frohlockte mein Herz, als ich bei unserem Jugendtreffen in Pöllau eine Messe erlebte, in der 500 Jugendliche die lateinischen Teile dieser Missa de Angelis sangen. Und wie kann man die weltweit bekannten Gesänge der Jugendbewegung von Taize vergessen, die begeistert in lateinischer Sprache gesungen werden. Seit wenigen Tagen haben wir in Pöllau auch das neue Gotteslob. Siehe da, wenn man ab Nummer 582 schaut, finden wir die Meßtexte, einschließlich Hochgebet, in zwei Spalten: Deutsch und Latein. Stehen diese nur zur Zierde da? Haben die verantwortlichen Bischöfe das wohl gesehen? Sogar das Schuldbekenntnis kann da in Latein gebetet werden. Das ist NEU! Im Alten Gotteslob war das nicht so enthalten. Ich bin mir sicher, dass es weiterhin eine zunehmende Verflachung der Liturgie geben wird, aber dass sich in manchen Zentren neu die Liebe und Treue zur gewachsenen Liturgie zeigen wird. Der Atem der Jahrhunderte weht in den Kostbarkeiten lateinischer Gesänge. Das ist jedoch ein eigenes Thema, zu dem ich mir einen kurzen polemisch gefärbten Exkurs erlauben will:

Wo ist denn der vom II. Vatikanischen Konzil so gepriesene Gregorianische Choral? Wo sind diese Schätze? Lässt man doch lieber trällern: „Ins Wasser fällt ein Stein …“ usw. Was erlebe ich bei Hochzeiten. Es ist furchtbar! Andreas Gabalier erklingt: „So liab hob i di!“ Das „Halleluja“ von Cohen, das Davids Ehebruch besingt, gehört fast schon zum Fixbestand. Bei Taufen muss ich das „Apfelblütenbäumchen“ von Reinhard May über mich ergehen lassen. Mühsam muss man sich als Priester die Texte vom Kleinen Prinzen und Khalil Gibran als Lesung vom Leibe halten, mit denen viele anderen Priesterkollegen offensichtlich kein Problem zu haben scheinen. Mehlspeise statt Bauerbrot reicht man den Menschen. Hechelnd hetzt man dem Zeitgeist hinter her und nennt es „bei der Lebenswirklichkeit der Menschen zu sein“. Nein, der Kunde ist in der Kirche nicht König, nein! Da ist man dann der Spaßverderber, wenn man etwas nicht zulässt. Das stellt aber kein Problem dar, denn der Nachbarpriester verscherbelt die Liturgie ohnehin zu Dumpingpreisen. Nun könnte ich Sie zu meiner Seelenhygiene noch mit vielen weiteren liturgischen Kuriositäten konfrontieren, aber das war ja eigentlich nicht ihre Kritik.

Ich bin unverdächtig, habe ich doch selber lange Jahre mit der Gitarre in der Kirche gespielt. Viele dieser Lieder sind mir allerdings auch zu seicht geworden. Die große Sorge um die Verflachung der Liturgie und daraus folgend eine wahre „Versteppung“ der Kirche, lässt mich mit solcher Glut diese Zeilen schreiben. Papst Benedikt XVI., stellte fest, dass die Erneuerung der Liturgie und die Erneuerung der Kirche zusammenhängen. Eine Notwendigkeit der „Reform der Reform“ war der zentrale Gedanke, den er immer wieder ins Gespräch brachte. Ein Aspekt – wenn auch nicht der Wichtigste – ist dabei die teilweise Wiederkehr des Latein.

Es grüßt Sie herzlich,

Pfarrer Roger Ibounigg